Betriebliche Weiterbildung? Sie macht einen Mitarbeiter schlauer damit er besser arbeitet. Oder sie gilt als Belohnung für eine Mitarbeiterin, die gute Leistungen bringt. Viel betriebliche Weiterbildung? Macht noch lange keine strategische Personalentwicklung. Dabei wird diese unternehmerische Aufgabe angesichts des Fachkräftemangels inzwischen immer wichtiger. Aber was bedeutet es, die Personalentwicklung langfristig zu gestalten und mit der Unternehmensstrategie zu verzahnen?
Viele mittelständische Betriebe haben einen hohen Bedarf an erstklassig qualifizierten Mitarbeitern – nicht nur in den Ingenieurberufen. Globalisierte, schnell wachsende Märkte und steigende Komplexität erfordern immer kürzere Entwicklungszyklen von Technologien und Produkten sowie die ständige Anpassung von Arbeitsprozessen. In dem Maße, wie Wissen zum Produktionsfaktor wird, wächst der Bedarf der Unternehmen an Mitarbeitern mit neuesten Kenntnissen und Führungs- oder Expertenqualitäten. Neue Märkte, die es zu erobern gilt, neue Technologien und Produkte brauchen eine gezielte strategische Planung der Ansprache, Rekrutierung, Entwicklung und Bindung qualifizierter Mitarbeiter. Weil von ihrer Kompetenz, ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen heute so viel abhängt, muss ein Unternehmen diese Ressourcen – ebenso wie Produktionsstätten und Rohstoffe – zur richtigen Zeit am richtigen Ort verfügbar haben. Dies gehört heute zur Zukunftssicherung und zum Risikomanagement der Unternehmen.
Während der demografische Wandel das Angebot an High-Potentials zunehmend reduziert, stehen gerade kleine und mittlere Unternehmen in ländlichen Regionen und angesichts der Konkurrenz internationaler Konzerne vor der Frage: Wie finden wir diese seltenen Prachtstücke und wie gelingt es uns, sie für uns zu gewinnen? Die Antwort lautet: vorausschauend und mit systematischer Planung. Während die betriebliche Weiterbildung bisher eher reagiert hat und sich den punktuellen Ausgleich von Wissensdefiziten oder Leistungsschwächen zur Aufgabe gemacht hat, ist strategisches Talent Management ein aktiver und systematischer Prozess zur Bindung und Entwicklung von Mitarbeiterpotentialen.
Traditionelle Methoden der Mitarbeiterrekrutierung konzentrieren sich bisher oft darauf, akute Vakanzen zu besetzen und situativ nach Kandidaten zu suchen. Moderne Unternehmen hingegen erkennen, dass sie aktives Personalmarketing und Talent Relationship Management im Vorfeld der Rekrutierung betreiben müssen, um die benötigten Talente auf sich aufmerksam zu machen und schon vor der Einstellung eine Bindung zu Ihnen aufzubauen.
Auf Customer Relationship Management (CRM) folgt daher Talent Relationship Management (TRM). Das TRM schafft langfristige Beziehungen zu interessanten Kandidaten, auch wenn diese noch nicht im Unternehmen arbeiten. Dabei gilt es, bereits während deren Schul- und Hochschulzeit Kontakt aufzunehmen und ihn längerfristig zu erhalten, um bei Bedarf dem passenden »Talent« ein attraktives Angebot zu machen. Dies wird allerdings nicht gelingen, wenn die potentiellen Kandidaten lediglich einmal in einer Computerliste erfasst werden. Vielmehr bedeutet TRM, die Entwicklung der potentiellen Kandidaten über Jahre hinweg zu verfolgen und sich in regelmäßigen Abständen in Erinnerung zu bringen. Dazu dienen regelmäßige telefonische Kontakte, Geschenke, Newsletter, Einladungen zu Firmenveranstaltungen oder der Versand von Firmenzeitschriften.
Zukünftige Mitarbeiter, deren Potential langfristig als wertvoll erscheint, für die aber gerade keine geeignete Stelle vorhanden ist oder die aktuell für das Unternehmen nicht zur Verfügung stehen, bleiben so in einem »Talent Pool« erreichbar. Viel versprechende Kandidaten kann der Personalverantwortliche nach ihrem Potential und der Einstiegswahrscheinlichkeit priorisieren und zu ihnen eine langfristige Beziehung aufbauen. Die Chance auf ein Betriebspraktikum, Einladungen zu Messen, Training-Days oder einem Führungsseminar sind für die potentiellen neuen Mitarbeiter dabei Aktivitäten mit echtem Nutzen, die sie gerne akzeptieren.
Statt als gelegentliches Incentive zur Mitarbeitermotivation zu dienen, sollte die Personalentwicklung künftig die Unternehmensstrategie unterstützen und nachhaltig mit ihr verzahnt werden.
Dem Talent Management liegt ein neues Verständnis zugrunde, wie Fähigkeiten und Kompetenzen gemanagt werden sollten, damit die Unternehmen sich auch auf lange Sicht flexibel und innovativ neuen Herausforderungen stellen können. Das Talent Management geht als Kernaufgabe wissensorientierter und technologiegetriebener Unternehmensführung über das traditionelle Verständnis von Aus- und Weiterbildung hinaus. Es stellt sicher, dass bei knappen externen Ressourcen systematisch in die betriebsinternen Potentiale investiert wird, damit die Kompetenzen, die zukünftig gebraucht werden, jederzeit zur Verfügung stehen.
Gleichzeitig erwarten heute junge, gut ausgebildete Mitarbeiter wie selbstverständlich eine systematische Förderung von ihren zukünftigen Arbeitgebern. Hierzu gehören Früherkennung und Förderung von Potentialträgern, individuelle Entwicklungspläne, Entwicklung von Laufbahnmodellen, systematische Laufbahn- und Nachfolgeplanungen sowie die Bindung von High Potentials. Darüber hinaus berücksichtigt und unterstützt das Talent Management auch die persönlichen und privaten Ziele des Mitarbeiters wie Familienplanung. Alle diese Maßnahmen steigern die Attraktivität des Arbeitgebers, erhöhen die Bindung des Mitarbeiters an das Unternehmen und verankern lebenslanges Lernen und Wissen als wichtige Faktoren im Bewusstsein des Unternehmens. Personalentwicklung oder „neudeutsch“ Talent Management wird so zu einer in Zukunft immer wichtiger werdenden betrieblichen Führungsaufgabe.